Nach zehn Jahren Unterbrechung hat die Deutschland-Tour heute in Koblenz ihr Comeback gefeiert. Dennoch tut sich der Radsport gerade hierzulande noch schwer, an die glorreichen Zeiten der 1990er Jahre anzuknüpfen. Radsportexperte Pascal Schulte vom Forschungs- und Beratungsunternehmen Nielsen Sports analysiert das neue Konzept und kommerzielle Potenzial der Radrundfahrt.
Radsportinteresse auf konstantem Niveau
Der Radsport kommt in Deutschland langsam in Schwung, allerdings ist der Weg nach wie vor steinig. Die Schatten der Vergangenheit rund um das Thema Doping holt die Sportart punktuell immer wieder ein. Ein signifikanter Impuls, wie man ihn sich zum Beispiel durch den Grand Départ der Tour de France 2017 in Düsseldorf erhofft hatte, ist nicht eingetreten. Die Daten sprechen jedoch für eine treue Radsport-Fangemeinde, die der Sportart auch in schwierigen Zeiten die Stange hält – aktuell sind dies rund 11,5 Millionen Menschen.
Im ersten Halbjahr 2018 lag das Radsportinteresse in der deutschen Bevölkerung zwischen 14 und 65 Jahren bei 21 Prozent. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum des Vorjahrs waren es lediglich 18 Prozent. Im Langzeitverlauf liegt das Interesse seit einigen Jahren auf konstantem Niveau.
Pascal Schulte, Vice President Sales Operations & Account Management bei Nielsen Sports, sagt:
In der Interessensrangliste der Sportarten belegt der Radsport in Deutschland aktuell einen Platz unter den ersten 15 mit Tuchfühlung zu den Top Ten. Darüber hinaus kann der Radsport eine Vielzahl von Aktiven verzeichnen. Fast jeder vierte Bundesbürger tritt in der Freizeit hin und wieder in die Pedale. Insgesamt liegt Radfahren im Trend, was auch der steigende Zuspruch zu Jedermannrennen zeigt.
Zurück in die Top Ten?
Der Radsportexperte sieht den Radsport insgesamt auf einem guten Weg, sich seinen Platz in den Top Ten der beliebtesten Sportarten in Deutschland zurückzuerobern:
Die neue Fahrer-Generation scheint trotz weiterhin einiger schwarzer Schafe sauber zu sein. Mit der gerade gestarteten Tour bekommt Deutschland nach dem Grand Départ im Vorjahr wieder einen Platz auf der internationalen Radsportkarte. An erfolgreichen Fahrern mangelt es zumindest im Sprintbereich nicht. Es fehlt nur ein herausragender Star, der um Siege im Gesamtklassement fahren und bei den großen Rundfahrten Akzente setzen kann. Denn um die Sportart entscheidend nach vorne zu bringen, braucht es sportlich erfolgreiche wie gleichzeitig auch charismatische Athleten.
Sponsoren können von der Deutschland-Tour profitieren
Nichtsdestotrotz ist aus Vermarktungssicht die Deutschland-Tour, deren Neuauflage am 23. August, startet, und der Radsport allgemein eine interessante Plattform. Schulte sagt:
In kaum einer anderen Sportart ist die Verzahnung von Sponsor und Team so eng wie im Radsport. Dies gilt natürlich insbesondere für die Hauptsponsoren der Mannschaften. Radsport-Teams tragen die Namen von Sponsoren – das ist allgemein bekannt und akzeptiert.
Zumindest vor dem Start mangelte es der Deutschland Tour noch an einer breiten Bekanntheit. Dementsprechend war das Interesse an der Rundfahrt mit zwölf Prozent im Mai 2018 noch steigerungsfähig, dürfte nach der Berichterstattung zur Tour de France aber höher liegen. Es ist aber davon auszugehen, dass die Deutschland Tour jetzt deutlich an Bekanntheit und Interesse zunimmt – und durch die steigende mediale Reichweite auch die Partner der Tour und einzelnen Teams profitieren.
Wie generell bei Engagements im Sport kommt es nicht nur auf den Bekanntheitsauf- und -ausbau alleine an. Ebenso wichtig ist es, durch die richtige Aktivierungsstrategie Botschaften zu transportieren und der Zielgruppe ein klares Profil der eigenen Marke zu vermitteln. Sponsoren wie Škoda, Bora, Alpecin oder Lidl gehen hier mit gutem Beispiel voran. Schulte erklärt:
Der breite Ansatz der Deutschland-Tour mit einer Verzahnung des Profiradsports mit vielen weiteren Elementen für aktive Radfahrer und Fans ist der richtige Weg. Es muss gelingen, ein Radrennen über einen längeren Zeitraum zu einem Happening rund um das Thema Fahrrad zu machen.
Auch Ausrichterstädte und Regionen profitieren
Bei der Planung des Umfangs sind die Veranstalter noch zurückhaltend gewesen – lediglich vier Etappen mit fünf Destinationen umfasst die Neuauflage der Rundfahrt. Radsportexperte Schulte sieht aber auch bei den Städten und Kommunen gute Erfolgschancen:
Zwar kommen auf die Veranstaltungsorte zuerst einmal Kosten für den organisatorischen und personellen Aufwand zu. Demgegenüber steht allerdings ein immenser Marketingeffekt, der auch nach der Ausrichtung einer Etappe messbar ist.
Die nationale Berichterstattung in der ARD, den Dritten Programmen und im ZDF sowie international bei Eurosport wird für reichweitenstarke TV-Medienpräsenz der Orte sorgen. Dazu kommt die Berichterstattung in Print- und Onlinemedien sowie Social-Media-Kanäle. Laut Nielsen-Experte Schulte erhalten die Destinationen eine ideale Plattform, um sich im Kontext der Deutschland-Tour von ihrer besten Seite zu zeigen:
Die Radsport-Berichterstattung ist erfahrungsgemäß nicht nur von sportlichen Aspekten geprägt, sondern auch von kulturellen Informationen rund um die Städte und Regionen sowie Sehenswürdigkeiten. Parallel zum eigentlichen Sportevent ist das in diesem Umfang im Radsport eine Besonderheit. Die Besonderheiten der Städte und Regionen werden insbesondere über die TV-Übertragung direkt in die Wohnzimmer der Fans transportiert.
Bisherige Studien von Nielsen Sports zum sogenannten ‚Host City Impact‘ zeigen, dass Effekte nicht nur direkt bei den Events messbar sind, sondern auch im Nachgang eintreten, etwa durch den Neu- oder Wiederbesuch einer Stadt und damit verbundenen zusätzliche Ausgaben vor Ort. Schulte sieht die Städte gemeinsam mit dem Veranstalter in der Pflicht, ihren Beitrag zu einer erfolgreichen Tour zu leisten:
Die Veranstaltungsorte haben die Aufgabe, ein attraktives Programm zu entwickeln. Dabei geht es um die Einbindung von Besuchern von innerhalb und außerhalb der Stadt. Die Deutschland-Tour bietet hier ein gutes Konzept, da nicht nur der Profisport eine Rolle spielt, sondern durch zusätzliche Maßnahmen und die Einbindung der wachsenden Jedermannszene ein Programm für die ganze Familie geboten werden soll. Die Rundfahrt wird in den Städten so zu einem Erlebnis für alle Besucher.