In Zeiten der Corona-Krise bietet der E-Sport sowohl für Marken als auch Rechtehalter Chancen, um mit ihren Zielgruppen zu interagieren und über neue oder ergänzende Sponsoring-Engagements nachzudenken. Michael Heina, Head of Esports Europe & Middle East bei Nielsen Sports, analysiert im Gespräch mit dem Handelsblatt die Auswirkungen auf das Sponsoring und Fanverhalten im Bereich Gaming und E-Sport.
Handelsblatt: Wenn es keinen Sport gibt, gibt es auch kein Sportsponsoring – lässt sich das so sagen?
Heina: “Nein, Sportsponsoring gibt es natürlich auch weiterhin, auch während der Corona-Krise. Nielsen Sports greift auf die weltgrößte Sponsoring-Datenbank SPONSORGLOBE mit fast 300.000 Deals zu. Anhand dieser Daten können wir aktuell keinen Rückzug der Sponsoren erkennen.
Lässt sich denn ein Anstieg beim E-Sport-Sponsoring beobachten?
Das können wir zum jetzigen Zeitpunkt ebenfalls nicht feststellen. Die großen Turnierveranstalter wie die Electronic Sports League (ESL) oder Riot Games haben laufende Verträge mit ihren Sponsoren. Die können sie aktuell aufgrund der digitalen Natur des E-Sport derzeit weiterhin sehr gut bedienen. Die DHL hat jüngst noch ihr Sponsoring der ESL verlängert, weil alle Seiten damit sehr zufrieden sind. Was sich aus unserer Perspektive nicht abschätzen lässt, ist, wie viele Gespräche mit potenziellen Sponsoren und Rechtehaltern im Hintergrund laufen.
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Welche Marktteilnehmer profitieren denn aktuell am meisten?
Von der aktuellen Lage profitiert interessanterweise eine E-Sport-Nische: das Sim-Racing, also die Rennsportsimulation. Serien wie zum Beispiel die Formel 1, die MotoGP oder auch die Tour de Suisse stellen auf virtuellen Betrieb um. Dort steigen die Zuschauerzahlen im Online-Bereich überproportional. Insgesamt verzeichnen die meisten E-Sportübertragungen mehr Zuschauer, eine Verlagerung der Zuschauer vom klassischen Sport in Richtung E-Sport können wir aber nicht feststellen.
Heißt das, die bestehenden Zielgruppen verfügen gerade über mehr freie Zeit zum Zuschauen? Oder kommen neue Viewer hinzu?
Sowohl als auch, mit klarer Betonung auf dem Aspekt der bestehenden Zielgruppen. Bei dem zuletzt virtuell durchgeführten Wettbewerb der US-amerikanischen Rennserie NASCAR etwa ist die Zielgruppe demografisch identisch mit der, die sich sonst die TV-Übertragungen der Rennen anschaut. Es sind also vorrangig NASCAR-Fans, keine E-Sport-Fans.
Neue Fans kommen aber trotzdem hinzu?
E-Sport ist die Spitze eines Eisbergs, der aus Gamern und Gaming-Interessierten besteht. Je mehr Gamer es gibt, desto mehr E-Sport-Fans werden sich aus dieser Basis heraus entwickeln. In der aktuellen Lage wäre möglich, dass es zu einer Art ‘Babyboom’ im E-Sport kommt, da derzeit die Gruppe der Gamer größer wird. Damit vergrößert sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Interesse steigt und der passive Konsum von Videospiele-Content als unterhaltsame Freizeitaktivität wahrgenommen wird.
Wie lässt sich das größere Interesse an Gaming feststellen?
Valve, der Anbieter der Gaming-Plattform Steam, hat am vergangenen Wochenende einen Besucherrekord verzeichnet. Fast 25 Millionen Menschen waren in der Spitze gleichzeitig online, mehr als acht Millionen User spielten dabei gleichzeitig. Der E-Sport-Titel CS:GO feierte vergangene Woche erstmals seit dem Release im Jahr 2012 wieder mehr als eine Million aktiver Spieler gleichzeitig.
Erhebungen der Nielsen-Tochter SuperData zeigen darüber hinaus nicht nur, dass die Download-Zahlen für Spiele-Apps steigen. 57 Prozent der deutschen Video-Gamer geben an, dass sie deutlich mehr Zeit mit Videospielen verbringen als vor der Corona-Krise. Das ist zwar größtenteils Casual Gaming, kein E-Sport. Aber das Spielen wird als lohnender Zeitvertreib wahrgenommen und es zeigt sich, dass durch mangelnde Freizeitalternativen Gaming klar auf dem Vormarsch ist.
Haben E-Sport-Titel gegenüber Blockbuster-Games einen Vorteil?
Es gibt auch im E-Sport immer die Frage nach dem neuen Top-Titel, auch, wenn das Genre von einigen wenigen, durchaus länger am Markt existierenden Spielen wie Counter-Strike oder League of Legends dominiert wird. Viele Entwickler arbeiten an dezidierten E-Sport-Titeln, die die Balance aus ‘leicht zu erlernen – schwer zu beherrschen’ sowie der Attraktivität als Zuschauerveranstaltung finden sollen. Nur gibt es einen solchen neuen Titel aktuell noch nicht.
Riot Games‘ ‘Valorant’ etwa, was sich in der Beta-Testphase befindet, könnte dem Hype zufolge, den es gerade auslöst, zum Herausforderer von Counter-Strike werden. Aber auch hinter diesen Titeln steckt jahrelange, kostenintensive Entwicklung – soll heißen: In der Corona-Krise wird nicht mal soeben ein neues Spiel entwickelt und veröffentlicht.”[/pullquote]
Sind Verbraucher bereit, mehr für Gaming auszugeben?
Aktuelle SuperData-Daten belegen, dass der Erwerb von digitalen Items und Gegenständen sowie weiteren In-Game-Käufe gestiegen sind. Diese entfallen traditionell größtenteils auf sogenannte ‘Free-to-Play’-Titel, also Spiele, die grundsätzlich kostenlos verfügbar sind. Allerdings lassen sich in den meisten Spielen Visualisierungen, kosmetische Add-Ons oder sogar Spielvorteile für kleinere Beträge käuflich erwerben. Wobei der Erwerb von Spielvorteilen, sogenanntes ‘Pay-to-Win’ in den großen E-Sport-Titeln nicht nur nicht möglich, sondern regelrecht verpönt ist.
Wer profitiert von den steigenden Nutzerzahlen?
Das lässt sich derzeit schwer differenziert ausweisen. Klar ist, dass die bisherigen Top-Titel weiter vorne liegen. Natürlich profitieren die großen Streaming- und Videoplattformen wie Twitch und YouTube. Aber auch dienstleistende Unternehmen wie kleinere Online-Turnieranbieter, die aktuell die Spielelogistik im Freizeitbereich organisieren, könnten abseits der eigentlichen Games durchaus etwas mehr in den Fokus rücken.