Der Spielbetrieb der deutschen Profi-Fußballligen für die aktuelle Saison ist in vollem Gange. Und mit jedem Spieltag kehren mehr Fans und Zuschauer auf die Tribünenplätze und VIP-Bereiche der Vereine zurück. Haben sich Corona-Lockdowns und einschneidende Beschränkungen im Alltag aus den Köpfen der Gesellschaft gelöscht? Nielsen Sports hat gemeinsam mit der Sportmarketingagentur SPORTFIVE im vergangenen August eine repräsentative Studie durchgeführt, um während der Corona-Pandemie die Bereitschaft zur Stadionrückkehr unter Fußballfans in Deutschland zu erfragen. Vorab: Ja, es werden wöchentlich immer mehr Zuschauer in den Stadien gesichtet. Aber werden die Kapazitäten aus den Zeiten vor COVID-19 zeitnah wieder erreicht?
Aus der Studie lassen sich vier Kernthesen ableiten und richtungsweisende Handlungsempfehlungen geben. Damit die Fußball-Rechtehalter ihre Anhänger nicht verlieren, müssen sie ihre Fans über die Hygienemaßnahmen aufklären und noch stärker auf den Bereich digitale Kommunikation setzen. Das gute alte Stadionbier, aber auch Fortnite und Roblox als Teil einer interoperablen Online-Welt spielen für diese Handlungsempfehlungen essenzielle Rollen.
These 1: Die Fans bleiben zuhause
Die Klubs müssen insbesondere die ehemaligen Stadiongänger wieder für einen Eventbesuch begeistern. Laut Studie ist zu befürchten, dass aufgrund der Corona-Pandemie diese Fangruppe mittel- und gegebenenfalls auch langfristig nicht wieder in das Stadion zurückkehren wird.
Fast die Hälfte der repräsentativ Befragten geben an, dass ihr Interesse an Veranstaltungsbesuchen (eher) geringer geworden ist (49 Prozent). Auf gleichem Niveau liegt das Interesse bei den Fußballinteressierten (50 Prozent) und den Vereinsfans (49 Prozent). Auch ehemalige Besucher von Sportereignissen geben zu 48 Prozent an, zunächst eher nicht mehr Live-Veranstaltungen zu besuchen. Die Ansteckungs- und Infektionsgefahr ist für rund die Hälfte dieser befragten Gruppen der Hauptgrund für ihre Zurückhaltung.
Diese Zurückhaltung korreliert auch deutlich mit dem Alter: Nach derzeitiger Datenlage muss man von einer längeren Reduktion von etwa 20 bis 30 Prozent der ehemaligen Stadiongänger rechnen. Hier ist zu betonen, dass die Umfrage im Sommer bei recht niedrigen Inzidenzen durchgeführt wurde. Laut der Studie hat nur eine Minderheit (zwischen 11 und 13 Prozent in den Subgruppen) ein gesteigertes Interesse an einem Veranstaltungsbesuch. Haupttreiber ist der lange Verzicht.
Was ist zu tun?
Die Verantwortlichen der Klubs sind gefragt, das herkömmliche Stadionerlebnis zeitnah und mit so vielen traditionellen Elementen wie möglich wiederherzustellen – natürlich unter der Prämisse eines funktionierenden Hygienekonzepts , das transparent kommuniziert wird.
Ohne die traditionellen Bestandteile des Stadionbesuchs funktioniert es aber nicht: Dazu gehört neben (der verlorenen Möglichkeit) des Spontanbesuchs auch das alkoholhaltige Stadionbier, die Öffnung von Stehplätzen und das Entfallen der Maskenpflicht als einfachste Maßnahmen. Verschiedene Bundesliga-Klubs hatten zunächst aufgrund der lokalen Auflagen auf den Ausschank von (alkoholhaltigem) Bier oder dem Anbieten von Stehplätzen verzichten müssen. Die Profi-Klubs verfolgen dabei unterschiedlich progressive Konzepte. So setzt man unter anderem in Leverkusen, Hamburg und Bremen schon auf ein klar kommuniziertes „2G“ und hofft, dass sich auch Ultra-Gruppen solidarisieren. In Mainz setzt man auf ein „2Gplus“-Modell, also auf „2G“ in Kombination mit „3G“ in bestimmten Bereichen des Stadions.
These 2: Kommunikation ist alles
Die Umsetzung und Kommunikation von Hygienekonzepten in den Stadien werden eine zentrale Bedeutung für die bestmögliche Zuschauer-Auslastung haben.
Mehr als 80 Prozent der Fans erwarten für eine Rückkehr ins Stadion umfassende Sicherheits- und Hygienekonzepte. Gewünschte Kernelemente dieser Hygienekonzepte sind:
- Ausreichend Abstand
- Sitze unter freiem Himmel
- Ausreichend vorhandenes Desinfektionsmittel
- Masken / Handschuhe beim Personal, speziell im Catering-Bereich
- Vermeiden von Warteschlangen (z. B. beim Einlass, bei sanitären Einrichtungen oder der Essensausgabe)
- Individuelle Anreise wird wieder präferiert (eigener PKW und entsprechende Parkmöglichkeiten)
Von besonderer Bedeutung sind auch die Kommunikationsmaßnahmen rund um die Hygienekonzepte. So geben 79 Prozent der Fans an, dass sie sich vor einem Stadionbesuch über die Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen informieren wollen.
Was ist zu tun?
Zum jetzigen Zeitpunkt kann man nicht sagen, ob ein reines „2G“-Konzept die heilsbringende Lösung ist. Klar, die „2G“-Zulassung von Fans im Stadion lässt die Auslastung kurzfristig in die Höhe schnellen, schließt aber möglicherweise auch einen Teil der Gesellschaft und somit einen Teil der aktiven Fanszene aus. Das befürchtet man unter anderem in Frankfurt, und bezuschusst daher PCR-Tests für Kinder zwischen sieben und 18 Jahren, sowie für alle nachweislich nicht-impffähigen Besucher. Was es dennoch braucht, ist ein verständlicher Dialog, denn die Ängste und Sorgen der Fans müssen ernstgenommen und verstanden werden.
Das bekräftigt auch Mathias Bernhardt, Managing Director DACH von Nielsen Sports:
Long-Covid ist nicht nur aus medizinischer Sicht relevant. Auch im Sport- und Entertainmentbereich gibt es aufgrund von Covid-19 Langzeiteffekte. Zwar kehrt das gesellschaftliche Leben glücklicherweise Schritt für Schritt zur Normalität zurück, doch bei vielen Fans haben sich neue Ängste und Verhaltensmuster eingestellt. Diese Ängste müssen die Klubverantwortlichen ernst nehmen und die individuellen Fanbedürfnisse verstehen, um maßgeschneiderte Lösungen und ein auf individuellen Bedürfnissen basierendes Fanerlebnis vor Ort anzubieten. Das erhöht die Chance, dass auch die Fans in naher Zukunft wieder ins Stadion zurückkehren, die dies bisher entweder aus Sorge vor einer möglichen Covid-Infektion oder aufgrund neuer Verhaltensmuster und Freizeitbeschäftigungen seit dem Lockdown vermieden haben. Gleichzeitig werden auch die Erlösquellen im Bereich Ticketing, Hospitality, Catering und auch Merchandising gesichert, die vor der Pandemie selbstverständlich waren.”
Das Gäste-Management und seine Kommunikation können sehr kurzfristig durch in Hygienekonzepte integrierte infrastrukturelle Lösungen wie Ticket-Management-Tools gestärkt werden, welche im VIP-, aber auch im Public-Bereich zur Geltung kommen. Aktuell arbeitet die Sportbusinessagentur SPORTFIVE an einer Umsetzung für ein solches Tool, bei der zunächst VIP-Hospitality-Kunden ihre Gäste digital und kurzfristig administrieren können. Das garantiert eine höhere Auslastung durch die praktische und kurzfristige Anwendung für den Stadionbesucher. Selbst bei einer Personalisierungspflicht können dann noch kurzfristig Änderungen vorgenommen werden. Natürlich eröffnet ein solches Ticket-Management-Tool auch wertvolle Chancen für das Leadmanagement von Vereinen. SPORTFIVE plant, das Tool bis Ende des Jahres interessierten Vereinen zur Verfügung stellen zu können.
These 3: Die Fanbindung lässt nach
Durch die Reduktion des Stadionerlebnisses in Quantität (= weniger Fans kommen) und Qualität (= der Stadionbesuch ist nur mit Einschränkungen möglich) wird perspektivisch auch die Fanbindung nachlassen.
Diese These lässt sich nur bedingt aus den vorliegenden Daten (da nur Querschnittsstudie und nicht Langzeitstudie) ableiten. Sie erscheint aber logisch und Indizien liegen vor: Etwa 20 bis 30 Prozent der Stadiongänger geben an, dass sie zunächst nicht wieder ins Stadion zurückkehren werden. Laut Studie hält es die Hälfte der ehemaligen Stadiongänger und auch Fans generell für (eher) unwahrscheinlich, wieder Veranstaltungen mit hohen Zuschauerzahlen (über 1000 Zuschauer) zu besuchen.
Was ist zu tun?
Schon gleich zu Beginn der Corona-Krise im März 2020 waren die Tribünen leergefegt und Geisterspiele waren monatelang das Nonplusultra in den Stadien. Mit steigender Impfquote und 2G- bzw. 3G-Richtlinien gehören die Spiele vor leeren Rängen zum Glück der Vergangenheit an – aber die Pandemie und ihre Begleiterscheinungen sind immer noch in den Köpfen der Fans. Die Angst vor einer Ansteckung bleibt präsent und das Interesse an Großveranstaltungen ist eher gering.
Corona ist aber nicht das einzige Problem im derzeitigen Fußball. Denn die Pandemie trägt ihren Teil zu einer möglichen Negativentwicklung bei: dem potenziell sinkenden Interesse am Fußball generell, am Fan-Sein und letztendlich auch am Stadionbesuch durch eine Schwächung des motivationalen Treibers „Stadionbesuch“, einer zunehmend nur noch medialen Verbreitung des Fußballs und dem Aufkommen neuer, gerade für jüngere Menschen attraktiven Entertainment-Segmenten. An dieser Stelle müssen wir etwas ausholen, denn Ursachen für potenziell schwächer werdende Fanbindungen gehen über das Argument Corona hinaus.
Ein grundlegendes Problem ist, dass sich die Anstoßzeiten am TV-Zuschauer und weniger am Stadiongänger orientieren. Der deutsche Fußball steht hier noch vor der entscheidenden Frage: Wird er weiter Medienprodukt bleiben – oder gibt es eine Rückentwicklung zum Stadionprodukt? Die Vereine sind hier in einer bequemen Position, da das Hybridmodell aus beiden Produkten bisher gut funktioniert – und sich die weitere Entwicklung weiter verselbständigen wird.
Es ist dabei denkbar, dass Entwicklungen von Vereinen in die eine oder andere Richtung getrennt ablaufen. Perspektivisch werden sich die DFL als Dachverband und der Großteil der aktuellen Erstligisten noch mehr auf die TV-Zuschauer fokussieren und eher mit internationalem Fokus reichweitenorientiert handeln, während die Mehrzahl der Zweitligaklubs mangels Alternativen und Sichtbarkeit eher traditionell „kulturorientiert“ und für den lokalen Stadionbesucher handeln. Die Mitte bilden Hybrid-Vereine, die a) aufgrund der aktuellen sportlichen Performance zur unterklassigen Liga gehören, aber grundsätzlich mit ihrer Tradition und der existierenden Reichweite aktuellen Bundesligavereinen in Nichts nachstehen, oder b) über ein länger kurzfristiges sportliches Leistungshoch aktuell in der höchsten Spielklasse stattfinden, aber in Puncto Reichweite oder Tradition weniger vorzuweisen haben.
Was aber können solche Vereine tun, die sich den Anstoßzeiten zum Trotz auf das Stadionprodukt fokussieren müssen? Naheliegend ist es, das Ticketangebot zu erweitern und zu individualisieren. Dabei kann Dynamic Pricing eine entscheidende Rolle spielen – es fehlt doch eindeutig die Möglichkeit bei Sportevents kurzfristig ein günstiges Ticket zu beziehen, beispielsweise wenn man seinen Stadionbesuch vom Wetter abhängig machen möchte. Auf der Ticket-Produkt-Ebene sollten Rechtehalter neben der klassischen Dauerkarte vermehrt in Kombi-Tickets denken, also mehrere Top-Spiele zusammenfassen, Themen-Tickets kreieren (wie das 11er-Ticket beim FSV Mainz 05) oder auch Auswärtsfahrten attraktiver machen.
These 4: Digitalisierung FTW
Digitale Eventerlebnisse gewinnen an Bedeutung und öffnen Nischen für digital-lastige Sportarten und Events (z. B. E-Sport). Traditionelle Sportarten sollten in digitale Maßnahmen und Aktivierungen investieren.
Das Interesse an digitalen Live-Übertragungen von Sportevents ist sehr hoch – bei den Fußballinteressierten liegt der Wert bei 75 Prozent. Etwa die Hälfte der Vereinsfans wären auch bereit für digitalen Content zu zahlen, wenn auch mehrheitlich nur kleinere Beträge. Gerade für die Gruppe der Nicht-Mehr-Stadiongänger erscheinen solche Alternativen wichtig zu sein.
Was ist zu tun?
Ohne Spieltage im Stadion brechen nicht nur maßgebliche Einnahmequellen weg, sondern auch wichtige Netzwerkmöglichkeiten vor Ort. Rechtehalter haben in dieser Zeit mit Fan-Gruppen, Sponsoren und Business-Partnern viele interessante Kompensationskonzepte und Ideen entwickelt.
Die Impulse hieraus sind nachhaltig in Produktentwicklungen eingeflossen und haben einige großartige Cases hervorgebracht. Digitale Produkte stehen seit Corona logischerweise noch mehr im Fokus. Hannover 96 hatte bereits im April letzten Jahres den ersten digitalen Sponsorenabend mit sehr positiver Resonanz der Partner umgesetzt. Mit Hilfe dieser und weiterer individueller Alternativleistungen ist es gelungen, einen nicht unerheblichen Anteil der Hospitality- und Ticketingerlöse zu kompensieren und die Kündigungsquoten im Hospitality-Bereich gering zu halten. Dank der sich entspannenden Lage dürften reine Digital-Events zwar opportun bleiben, aber die klassischen Formate wie Sponsorenabende nicht ersetzen.
E-Sport ist in aller Munde, vor allem als Krisengewinner aller Sportarten in Zeiten der weltweiten Pandemie. Jahr für Jahr konnte auch der europäische E-Sport-Markt analog der weiteren kontinentalen Hotspots wachsen – sogar im Corona Jahr 2020, als E-Sport-Meisterschaften die Lücken der ausgefallenen Veranstaltungen aus dem traditionellen Sport füllten. Klar, dass viele Rechtehalter spätestens hier auf den E-Sport-Zug aufgesprungen sind. Borussia Dortmund hat bereits vor der Pandemie verschiedene Schritte im Bereich E-Sport & Gaming unternommen – vor allem, um mit den Fans gemeinsam Spaß zu haben – und hat diese über den Pandemie-Zeitraum zu einem E-Football-Best Case entwickelt.
Achtung: Natürlich müssen traditionelle Sportarten bereits in digitale Maßnahmen und Aktivierungen investiert haben. Der E-Sport-Zug ist abgefahren. Wer als Bundesliga-Klub ins gamifizierte Premium-Segment vorstoßen und den Draht zu den jüngsten Zielgruppen sicherstellen will, muss sich ab sofort mit den Möglichkeiten des Metaversums auseinandersetzen.
Denn: Eine Präsenz im Metaversum, also in einer interoperablen Online-Welt, wird genauso wichtig werden wie heute eine Präsenz in den sozialen Medien. Der bevorstehende Aufstieg des Metaversums zeigt sich schon jetzt: Krypto-Währungen sind bereits in unseren Alltag integriert und Spiele-Simulationen wie Roblox und Fortnite nehmen Vorreiterrollen ein: Konzerte aus der Offline-Welt finden in Fortnite statt, während Online-Spiele gleichzeitig gemeinsam gespielt werden. Der Titel Roblox kommt mit einer eigenen Identität, einem fortbestehenden Netzwerk an Freunden, einem immer gleichen Zugang sowie einer gemeinsamen Währung der Idee des Metaversums noch näher (siehe Schuler, Marcus: „Metaversum“ als Internet-Nachfolger).
AUSBLICK
Die Corona Pandemie war für niemanden einfach – auch nicht für die Fußballwelt. Was jetzt zählt, ist eine klare und transparente Kommunikation der Vereine mit ihren Fans und Zuschauern, um Vertrauen und Sicherheit zu schaffen. Aber nicht nur das klassische Stadionerlebnis sollte wiederhergestellt werden. Auch digitale Lösungen müssen in einer 2.0-Variante geschaffen werden, um im Fall der Fälle auf eine weitere Krise vorbereitet zu sein und Netzwerk- und Vertriebsmöglichkeiten auszubauen. Genau wie vor der Pandemie wird es vermutlich nie wieder werden – aber vielleicht ist das auch gut so, um mit frischen und innovativen Ideen in die Zukunft gehen zu können.
* Der Artikel erscheint ebenfalls auf dem SPORTFIVE-Blog Beyond the Match.
KONTAKT
Sebastian Kube
Vice President Sales Operations & Account Management
Nielsen Sports
Sebastian.Kube@nielsen.com