Welchen Mehrwert bringen Veranstaltungsstätten und Stadien für Städte und Regionen? Wie können diese Venues strategisch entwickelt werden und wie können Kommunen von diesen Tourismusmagneten profitieren? Sebastian Kurczynski, Head of Consulting beim Forschungs- und Beratungsunternehmen Nielsen Sports, hat dem Fachmagazin Stadionwelt diese und weitere Fragen beantwortet.

Stadionwelt: Stadien und Arenen sind beliebte Touristenziele. Profitiert eine Stadt mehr von der Venue, oder die Venue von der Stadt?

Sebastian Kurczynski: „Stadt und Venue profitieren voneinander. Als Tourismusziel wirken sie typischerweise im Zusammenspiel, um möglichst viele Besucher anzulocken. Wer mehr profitiert, lässt sich nicht pauschalisieren. Die Wirkeffekte hängen stark von der individuellen Attraktivität der Stadt, des Venues und der dort stattfindenden Veranstaltungen ab. Ein Beispiel: Die Stadt München verfügt mit der Allianz Arena über einen absoluten Zuschauermagneten mit internationaler Strahlkraft und architektonischem Renommee. Zusätzlich finden in der Arena mit den Heimspielen des FC Bayern München mindestens zweiwöchentlich attraktive Sportveranstaltungen statt. Dennoch steht außer Frage, dass die 8,8 Millionen touristischen Besucher, die laut Angabe der Stadt 2019, im letzten Jahr vor der Pandemie, nach München kamen, vor allem durch die Gesamtheit der Sehenswürdigkeiten erreicht wurden. Hierzu gehören neben dem Venue auch die Innenstadt inklusive Shopping- und Ausgehmöglichkeiten, Museen, Konzerthäuser, Parks und im Fall von München natürlich auch das Oktoberfest.

Attraktive Venues kennzeichnen sich typischerweise durch eine Kombination aus drei Elementen: Architektur und Besucherfreundlichkeit, Geschichte idealerweise bis hin zur mythologischen Verehrung sowie ein attraktives, regelmäßiges Veranstaltungsprogramm. Letzteres können neben Kulturstätten insbesondere Sport-Venues durch den ansässigen Rechtehalter bieten. Damit ziehen sie eine signifikante Anzahl von Besuchern in die Stadt. Ein schönes Beispiel ist der Fußballer Serge Gnabry, der zuletzt äußerte, dass sein erstes Ziel in der an Attraktionen reichen spanischen Hauptstadt Madrid das Estadio Santiago Bernabeu von Real Madrid wäre. Wie ihm geht es vielen Sportfans, die auf Reisen gehen und ikonische Sportstätten fest in ihre Reiseplanung einbauen.“

 

Welche Rolle spielen Sport- und Veranstaltungsstätten für das Image einer Stadt?

Kurczynski: „Sport- und Veranstaltungsstätten können das Image einer Stadt maßgeblich positiv prägen. Fragt man nach Assoziationen zur Stadt Manchester, so fällt sicherlich fast immer zuerst der Begriff „Theatre of Dreams“, der glorifizierende Spitzname der Heimspielstätte von Manchester United. Das Stadion hat sich über die Jahrzehnte zu einem Anziehungspunkt für Fußballfans aus aller Welt entwickelt.

Außerhalb des Sports lässt sich ähnliches Beobachten. Nachdem die Elbphilharmonie in Deutschland lange durch Bauverzögerungen und Kostenexplosion die Schlagzeilen dominierte, hat sie sich seit ihrer Eröffnung zum absoluten Publikumsmagneten entwickelt. Zusätzlich wird sie international als Wahrzeichen wahrgenommen und wird mittlerweile genauso mit der Stadt verbunden wie der prägende Hafen, über dem sie thront.

Auffallend ist dabei, dass erfolgreiche Venues deutlich über ihren eigentlichen Adressatenkreis hinaus wirken. Konkret bedeutet dies, dass nicht nur Sportfans ein Stadion kennen. In einer repräsentativen internationalen Umfrage von Nielsen Sports unter 16- bis 69-Jährigen in acht Ländern (u. a. DACH-Region, China, USA) nannten 21 Prozent auf die Frage nach einem ihnen bekannten Stadion, das Camp Nou in Barcelona als eine der ersten Spontanassoziationen. Unter Fußballfans fiel der Wert in der gleichen Befragung noch höher aus: hier erzielte die Spielstätte des FC Barcelona einen Top-of-Mind-Wert von 33 Prozent. Hinzu kommt, dass Venues innerhalb einzelner Image-Dimensionen zur Aufladung des Markenbildes einer Stadt beitragen können. In der gleichen Untersuchung wurde die Wahrnehmung von mehreren internationalen Top-Stadien abgefragt. Dabei zeigte sich, dass Venues u. a. die Positionierung in puncto Internationalität, Modernität, Nachhaltigkeit einer Stadt mitprägen können.“

 

…und wie kann eine gelungene Tourismus-Strategie aussehen?

Kurczynski: „Venues können Teil einer gelungen Tourismus-Strategie sein. Lassen Sie uns kurz beim Camp Nou in Barcelona bleiben: Laut Statistiken ist das Vereinsmuseum, das sich am Stadion befindet und dessen Besuch eine Stadion-Tour beinhaltet, mit über 1,6 Millionen Besuchern im Jahr (Vor-Pandemie-Jahr 2019; Quelle: Institut de Cultura de Barcelona de l’Ajuntament de Barcelona) das meistbesuchte Museum der Stadt, die immerhin auch Museen von Picasso, Miró und Dalí beherbergt.

Es gibt jedoch keine Blaupause für eine erfolgreiche Tourismus-Strategie, die für jede Stadt oder jedes Venue funktioniert. Eine gelungene Tourismus-Strategie kennzeichnet sich durch einen klaren Fokus. Das gilt sowohl für die Zielgruppe als auch deren inhaltliche Ansprache. Es muss klar sein, wer als Tourist adressiert werden soll und welches Leistungsversprechen, also das touristische Angebot, diesem gemacht wird.“

 

Welche Best-Practice-Beispiele heben Sie hervor?

Kurczynski: „Wir erwarten, dass das neue Santiago Bernabéu in Madrid Maßstäbe setzt. Die vom Klub veröffentlichten Planungen lassen vieles von dem erwarten, was allgemein hin als Erfolgsfaktor gilt. Vorneweg das Denken in einer Quartierslogik, die dafür sorgt, dass kein isolierter Ort innerhalb der Stadtgrenzen entsteht, der nur einmal alle zwei Wochen für wenige Stunden Besucher anzieht. Das neue Santiago-Bernabéu-Stadion wird noch mehr als das alte zu einem lebhaften Zentrum in der Stadt durch Museum, Shopping-Malls, und Freiflächen um das Stadion herum. In Kombination mit der guten Erreichbarkeit über öffentliche Verkehrsmittel wird das Venue so zur mehrwertstiftenden Infrastruktur in der Stadt. In dieser Ausgestaltungsform wirken Venues dann nicht nur auf Touristen, sondern auch für die primäre Zielgruppe der Bewohner vor Ort.

Natürlich lässt sich dieser Ansatz nicht immer und überall umsetzen. Insbesondere dann nicht, wenn bereits gebaute Infrastruktur existiert. Aber auch hier gilt es, clevere Ansätze zu entwickeln, das Venue zu einem aktiven Bestandteil einer lebhaften Stadt zu machen und im Sinne der Nachhaltigkeit ein dauerhaftes Nutzungsmodell zu schaffen. Dies kann über alternative Freizeitangebote, Kombinationsnutzung von Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten oder Funktionen als Verkehrshubs erfolgen.“

 

Wie fällt Ihre Einschätzung zum Thema Wertschöpfung ein? Können Sie Kennzahlen mitteilen, beispielsweise in Bezug auf konkrete Großevents?

Kurczynski: „Wertschöpfungsanalysen von Nielsen Sports zeigen, dass Sport- und Entertainment-Venues einen signifikanten Beitrag zur Wertschöpfung einer Stadt leisten. Diese positiven wirtschaftlichen Effekte entstehen zum einen durch den Kauf der Tickets und Ausgaben für Getränke und Essen im Venue. Hinzu kommen Ausgaben von Fans außerhalb des Stadions, z. B. für Verpflegung, Shopping, Übernachtung sowie An- und Abreise. Vom ersten Einnahmenblock profitiert der Veranstalter, z. B. der lokale Fußball-Klub, von zweitem vor allem das lokale Gastgewerbe und der lokale Einzelhandel.

Diese Effekte können wir natürlich auch mit konkreten Werten belegen. Zur Veranschaulichung haben wir Werte des Stadions eines Fußball-Bundesligisten gewählt. Der Klub spielt typischerweise im Mittelfeld der Liga und ist in einer kleineren Großstadt angesiedelt. Die bloße Wertschöpfung durch Ausgaben von Fans an den 17 Heimspielen der Bundesliga pro Saison liegt bei einem solchen Verein und einer mittleren Stadiongröße zwischen 15 und 20 Millionene Euro pro Saison (Quelle: Nielsen Sports). Hinzu kommt die Wertschöpfung für Betrieb und Erhalt der Infrastruktur. Hierunter fallen die Löhne von Hunderten von Voll- und Teilzeitkräften, die an Heimspieltagen im Catering, der operativen und technischen Umsetzung oder etwa im Bereich der Stadionsicherheit und ähnlichen Bereichen tätig sind.“

 

Welchen Effekt Sport-Großevents auf ein Land haben können, ist derzeit zum Beispiel in Katar zu beobachten, wo in diesem Jahr die Fußball-WM stattfinden wird. Dort ist ein Großteil der Infrastruktur mitten in der Wüste aus dem Boden gestampft worden. Es entstehen u.a. ein neuer Flughafen, ein U-Bahn-Netz und zahlreiche Hotels. Wie ist Ihre Sicht auf diese Entwicklungen?

Kurczynski: „Sportliche Großevents können einen langfristigen positiven Effekt auf die Stadtentwicklung ausüben. Gute Beispiele aus der Historie sind dafür genauso vielfältig wie negative. In die Kategorie der Best-Cases fallen z. B. die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona, welche durch Infrastrukturprojekte signifikant dazu beigetragen haben, dass die Stadt sich stärker dem Mittelmeer zugewendet hat. Damit wurde der Aufstieg zur Touristenmetropole zusätzlich verstärkt. Geht man nicht ganz so weit zurück, dann kann man den Blick auf London werfen. Die Olympischen Spiele 2012 dienten hier als Katalysator für Stadtentwicklung, die dank der zur Verfügung stehenden Mittel im Zeitraffer erfolgen konnte.

Erfolgsfaktor in beiden Fällen: der Zeitraum nach dem Großevent stand noch stärker im Fokus als das Event selbst. So wird sichergestellt, dass Venues nachgenutzt oder zurückgebaut werden können, öffentliche Verkehrsmittel auch tatsächlich die Mobilitätsbedürfnisse der Stadtbewohner bedienen und keine Ressourcen verschwendet werden.“

 

Bei der Planung einer neuen Sportstätte spielen Themen wie etwa die Verkehrsanbindung eine essenzielle Rolle – was sollte in diesem Kontext bei der Konzeption beachtet werden?

Kurczynski: „Die Erreichbarkeit eines Venues ist schon heute ein wesentlicher Faktor in Bezug auf die Zufriedenheit der Besucher. In einer stärker auf Nachhaltigkeit und Zeit-Effizienz ausgerichteten Welt von morgen wird dies noch an Bedeutung gewinnen. Standort und multi-modale Verkehrsanbindung sind dementsprechend wichtige Erfolgsfaktoren bei der Venue-Planung. Fans erwarten, dass die Sport- und Eventstätte mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln verlässlich und schnell erreichbar ist. Der ÖPNV ist hier das Leitmedium, jedoch muss auch der Individualverkehr und eine Kombination aus beidem mitgedacht werden. Idealerweise findet sich zudem ein Standort, der Verkehrsströme aus unterschiedlichen Richtungen anzieht bzw. in diese abfließen lässt, um Überlastungen des Systems zu vermeiden.“

INFO

Das Interview erschien zuerst am 14. Juni 2022 bei Stadionwelt.de (€) / Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Benedikt Hellmann.