Dr. Tim Schumacher leitet seit Juli 2017 die VfL Wolfsburg-Fußball GmbH als Geschäftsführer und ist für die Geschicke der Frauenfußball-Abteilung, die zum dritten Mal in Serie das Double gewonnen hat, verantwortlich.
Der 45-Jährige spricht im Interview über die Entwicklung des Frauenfußballs aus Klub-Sicht und erläutert, warum ein Sponsoring für Unternehmen lohnenswert sein kann.
Frauenfußball ist aktuell nicht nur durch die Weltmeisterschaft in Frankreich in aller Munde – der generelle Trend der Sportart steigt nach oben. Inwieweit hat sich der Vereinsfußball im Frauenbereich in den letzten zehn Jahren aus Ihrer Sicht verändert?
Vor allem strukturell hat sich der Frauenfußball in diesem Zeitraum verändert. Vor zehn Jahren wurde der Vereinsfrauenfußball in Deutschland und Europa – mit wenigen Ausnahmen – von reinen Frauenfußballvereinen dominiert. Der 1. FFC Turbine Potsdam gewann zwischen 2008 und 2012 vier Meisterschaften in Serie. In der Folge haben die Lizenzvereine, allen voran der VfL Wolfsburg und der FC Bayern München, mehr und mehr in ihre Frauenabteilungen investiert und damit die Dominanz der reinen Frauenfußballvereine beendet. In England, wo es mittlerweile ausschließlich Lizenzvereine in der Frauen-Liga gibt, war die Entwicklung noch dynamischer.
Ist die heutige Spielerin vom Typus anders als diejenige, die noch 2007 die WM für Deutschland gespielt hat?
In den letzten zwölf Jahren hat sich vieles verändert, man denke nur an die gestiegene Bedeutung der sozialen Medien – ein Thema, dass es 2007 noch gar nicht gab. Natürlich hat dieser äußere Einfluss auch die neue Spielerinnen-Generation beeinflusst und verändert. Aber das ist ja kein reines Frauen-Thema. Es ist durchaus legitim, wenn Sportler mehr als früher in ihre persönliche Vermarktung investieren. Entscheidend ist, dass das Klima innerhalb der Mannschaft nicht darunter leidet und auf dem Platz alle an einem Strang ziehen.
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Das Sponsoreninteresse im Frauenfußball ist gestiegen – was ist aus Klub-Sicht die Besonderheit eines Sponsoring-Engagements im Frauenfußball?
Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren Themen wie Gender Equality, Women’s Empowerment und Diversity in ihre Werte-Agenda aufgenommen. Doch wie fülle ich diese Begriffe mit Leben? Ein Engagement im Frauenfußball ist aus meiner Sicht eine perfekte Gelegenheit, die Brücke zu genau diesen Themen zu schlagen. Der Frauenfußball steht für Gleichberechtigung, Vielfalt und Toleranz. Darüber hinaus wird er als familienfreundlich, ehrlich und gewaltfrei wahrgenommen. Genügend Argumente für ein Sponsoring-Engagement!
Das Preisgeld hat sich laut Nielsen-Studie im Vergleich zur letzten WM 2015 verdoppelt. Wie sieht es mit der Entwicklung der Spielerinnen-Gehälter auf Vereinsebene aus?
Die zunehmende Dynamik im europäischen Vereinsfrauenfußball führt nicht zuletzt dazu, dass auch immer höhere Gehälter gezahlt werden. Natürlich profitieren in erster Linie die Top-Spielerinnen davon, aber auch in der Breite kommt diese Entwicklung an. Ich höre allerdings immer wieder von Spielerinnen, dass auch die Infrastruktur eines Vereins eine wichtige Rolle spielt, wenn es um einen möglichen Wechsel geht. Weiche Faktoren wie zum Beispiel die Qualität der Trainingsplätze, die Größe des Betreuerstabs oder etwa die Reiselogistik beeinflussen die Attraktivität ebenso wie das Gehalt.
Was kann aus Ihrer Sicht zusätzlich getan werden, um den Frauenfußball noch attraktiver zu machen?
Hier sind die nationalen Verbände und die Vereine gleichermaßen gefordert. Von den Verbänden erwarte ich, dass der Frauenfußball noch selbstbewusster vermarktet wird. Konkret ist hier die TV-Präsenz zu nennen, die das öffentliche Interesse maßgeblich beeinflusst. Ziel muss es sein, dem Vereinsfrauenfußball einen festen Platz einzuräumen und nicht nur dann Partien zu übertragen, wenn es gerade in den Sendeplan passt. Natürlich müssen auch die Vereine ihre Hausaufgaben machen, um die Attraktivität des Produkts Frauenfußball zu steigern.
Es ist schade, dass führende deutsche Klubs mit großer Strahlkraft das Thema noch immer ignorieren. Von einer Verpflichtung, eine Frauenabteilung vorweisen zu müssen, halte ich nichts. Es ist besser, wenn sich alle aus Überzeugung im Frauenfußball engagieren. Daher wäre es wünschenswert, wenn sich auch andere bekannte Klubs künftig dem Frauenfußball öffnen würden. In England findet gerade ein Boom statt, weil die Top-Klubs der Premiere League auch in der FA Women’s League um den Titel spielen. Weitere Marken würden auch der Frauen-Bundesliga guttun und die Attraktivität des Gesamtprodukts erhöhen.”